One size fits all gibt es bei der Selbstorganisation nicht! Oder doch? Es stimmt, dass jede Organisation ihre ganz eigene Form finden muss. Das heißt aber nicht, dass es nichts gibt, was für alle gleich ist. Denn zum Glück existieren wissenschaftlich fundierte Designprinzipien, welche für alle Gruppen gelten. Diese hat ursprünglich Elinor Ostrom aufgedeckt und dafür den Nobelpreis gewonnen. Sie hatte dazu geforscht, ob die Tragödie der Allmende wirklich immer gilt und ob es stimmt, dass diese nur verhindert werden kann, wenn Gemeingüter privatisiert werden, oder eine zentrale Oberheit alles kontrolliert. Dabei kam heraus, dass die Tragödie auch durch Selbstorganisation umgangen werden kann, wenn die 8 Prinzipien eingehalten werden.

Da die Prinzipien für jede Gruppe gelten, können sie als Kompass im ganzen New Work Wirrwarr dienen. In diesem Artikel gebe ich einen kurzen Überblick über diese Prinzipien und ein paar Ideen, wie du diese praktisch umsetzen könntest.

Sinnhaftigkeit

“Wozu braucht uns die Welt?” , die Antwort auf diese Frage ist der Purpose von jedem Unternehmen. Und damit meine ich nicht einen sexy Marketingspruch, der auf der Webseite steht aber ansonsten keine Relevanz hat. Damit meine ich die ehrliche Antwort auf die Frage “Wozu sind wir da?” und damit das verbindende Element, welches die Organisation zusammenhält. Wenn dieser Purpose transparent gemacht wird, ist es möglich sich in der Sache hart zu streiten und Neues entstehen zu lassen, da allen bewusst ist, dass es am Ende nicht um das eigene Ego geht, sondern um den besten Weg den Sinn und Zweck des Unternehmens zu erfüllen. Dies gilt auch für den Purpose jedes einzelnen Teams.

An erster Stelle steht dafür natürlich den Purpose gemeinsam offenzulegen und festzuhalten z.B. mit Hilfe von Workshops, oder am besten direkt bei Gründung. Damit der Purpose später aber nicht irgendwo in einer Schublade verschwindet oder an der Wand langsam verblasst., ist es echt wichtig den Purpose in alle Entscheidungen mit einzubeziehen und in den Strukturen zu verankern. Das ist möglich mit Purpose-Routinen. Beispielsweise bei jeder Entscheidung in der Gruppe am Ende immer explizit die Frage zu stellen: Zahlt das auf unseren Purpose ein? Hierfür kann man beispielsweise am Anfang eines Meetings auch eine Art Devils Advocate bestimmen, welcher immer den Purpose in den Blick nimmt und daher auch die unangenehmen Fragen stellt.

Außerdem kann es sehr hilfreich sein den Purpose vor kurzfristigen Interessen zu schützen, indem ein Unternehmen ins Verantwortungseigentum übergeht, oder regelmäßig eine öffentliche Gemeinwohlbilanz erstellt.

Wichtig ist bei diesem Prinzip die gemeinsame Identität zu stärken. Dazu gehören, neben dem Purpose, z.B. auch gemeinsame Werte und Rituale, die zusammenschweißen.

Gerechtigkeit

Über Fairness und Gerechtigkeit zu sprechen ist oft schwierig, da das Gerechtigkeitsempfinden sehr subjektiv ist. Abhängig davon welche Normen und Formen der Gerechtigkeit jede*r Einzelne als Grundlage nimmt. Was ist gerecht bei der Verteilung von Kosten und Nutzen? Doch trotzdem muss dieses Thema auf den Tisch kommen. Denn wenn Entscheidungen im stillen Kämmerchen beschlossen oder Gehälter nur über den Flurfunk diskutiert werden, entsteht schnell das Gefühl, dass man selber nicht fair behandelt wird. Das sorgt dann wiederum zu mehr egoistischem und unethischem Verhalten, um das Gleichgewicht wieder herzustellen (man denke z.B. an Diebstahl oder Zeit abbummeln.) Daher hilft es alles nichts - das Thema Gerechtigkeit muss auf den Tisch.

Hilfreich hierbei kann es sein die verschiedene Formen von Gerechtigkeit vorzustellen und dann Raum für Austausch zu schaffen, was uns wirklich wichtig ist im Umgang miteinander. Forschungsergebnisse zeigen nämlich, dass Einzelpersonen Gerechtigkeitsbewertungen von Teammitgliedern abgucken und diese somit zu einer Homogenität der Wahrnehmung von Gerechtigkeit im Teams führen können. Dadurch entsteht ein gestärktes Gerechtigkeitsklima in der Gruppe.

Entscheidend ist es auch auf ganz klare Transparenz zu setzen. Warum wird wann welche Entscheidung für wen getroffen? Da Prozesse vor allem akzeptiert werden, wenn alle davon betroffenen Menschen die Möglichkeit haben sich bei der Erarbeitung zu beteiligen, ist es sinnvoll dies auch zu tun. Das geht auch bei großen, dezentralen Unternehmen, indem man beispielsweise eine Widerstandsabfrage mit acceptify durchführt.

Am Ende darf auch eins der heikelsten Themen nicht fehlen: die Verteilung von Geld im Unternehmen. Die ganze New Pay Bewegung hat dazu viele hilfreiche Beispiele gesammelt.

Entscheidungen

Mir begegnet es immer noch erstaunlich oft, dass Menschen nur zwei Arten von Entscheidungsfindung einfallen - entweder die Führungskraft entscheidet oder alle sitzen stundenlang rum und diskutieren, bis der gewinnt, der am meisten nervt. - Doch zum Glück gibt es ganz unterschiedliche Wege Entscheidungen zu treffen, je nach Situation. Auch hier ist es sehr relevant , dass es transparent ist wie Entscheidungen getroffen werden und alle Betroffenen sich bei Bedarf einbringen können. Wichtig ist auch, dass die Entscheidungsgewalt auch mit der Übernahme der Verantwortung für die Entscheidung einher geht. Eine schöne Übersicht von Entscheidungsprozessen haben Bernd Oestereich und Claudia Schröder zusammengestellt.

Transparenz

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Bei dem Designprinzip Transparenz geht es darum zu schauen, ob Absprachen und Spielregeln eingehalten werden. Denn was nützen Werte und Ziele, wenn sich am Ende niemand daran hält? Monitoring ist dabei z.B. nicht als Top-Down Kontrolle zu verstehen, sondern eher als kollektive Verantwortung, in der alle Mitglieder kontrollieren können, ob alle sich an die Vereinbarungen halten und der gemeinsame Purpose erfüllt wird. Es ist eher ein freundliches Interesse an der Arbeit der anderen, als ein Mikromanagement, welches auf Misstrauen beruht. Dieses Prinzip setzen mehr und mehr Unternehmen schon erfolgreich um. Möglichkeiten dazu gibt es viele. Es kann z.B. sinnvoll sein Objectives and Key Results (OKR) zu nutzen, um die Ziele und die Zielerreichung für alle sichtbar zu machen. Daran gekoppelt sind dann auch Meetingformate (Plannings, Weekly, Retrospektiven), welche die Transparenz weiter erhöhen. Außerdem können online Tools wie beispielsweise Trello und Jira unterstützen, die Arbeit und Erfolge auch in verteilten Teams sichtbar für alle zu machen. Retrospektiven können natürlich auch außerhalb des OKR-Prozesses sinnvoll sein, um zu schauen ob die gemeinsamen Werte eingehalten werden, der Purpose noch im Mittelpunkt steht und um, wenn nötig, Anpassungen vornehmen zu können.

Feedback

Angemessenes Feedback bezieht sich auf sowohl gewünschtes, als auch ungewünschtes Verhalten. Gemeint ist dabei, dass z.B. die Sanktionen bei ungewünschtem Verhalten am Anfang relativ mild verlaufen. Wenn beispielsweise jemand das erste Mal gegen einen Wert der Gruppe verstößt, bekommt er dazu ein Feedback im 4 -Augen -Gespräch. Wenn diese Person diesen Wert aber dauerhaft verletzt und auf die vorangegangen Sanktionen nicht mit einer Verhaltensänderung reagiert, ist auch klar, dass sie auf Dauer die Gruppe verlassen muss. Bei dem kleinsten Fehlverhalten, aber direkt mit einer offiziellen Abmahnung um die Ecke zu kommen, ist wenig angemessen und sorgt für Misstrauen und ein schlechtes Klima in der Gruppe. Das gleiche gilt für angemessenes Feedback auf gewünschtes Verhalten. Um dieses zu fördern empfiehlt es sich regelmäßig Möglichkeiten zu schaffen, um die Arbeit der anderen anzuerkennen und gemeinsam Erfolge zu feiern. Auch einfach mal Danke zu sagen hat sich bewährt. Um allerdings angemessen auf Verhalten reagieren zu können, muss für alle klar sein was gewünschtes Verhalten überhaupt ist. Hierbei können gemeinsame Werte, der geteilte Purpose sowie ein Organisationshandbuch (s. z.B. Verfassung in der Holokratie) Klarheit schaffen.

Angemessen zu reagieren, um soziales Verhalten zu fördern und unsoziales Verhalten zu unterbinden, fällt nicht immer leicht. Daher ist es zusätzlich gut für Gruppen zu schauen, wie sie normalerweise auf das Verhalten der Gruppenmitglieder reagieren. Sind wir fair? Vermeiden wir es schwierige Themen anzusprechen? Nehmen wir als Gruppe Erfolge als selbstverständlich wahr ohne diese zu feiern und gute Leistung anzuerkennen? Antworten auf diese Fragen geben einen ersten Überblick darüber, wo es noch Verbesserungspotenzial gibt.

Konfliktlösung

Auch wenn alle am Anfang noch total begeistert und sich einig sind, ist es sinnvoll sich schon mal Gedanken zu machen was passiert, wenn die rosarote Brille langsam verschwindet. Denn Konflikte sind unvermeidbar in einer Gruppe. Denn Gruppenmitglieder können Situationen ganz anders wahrnehmen. Menschen haben nun einmal unterschiedliche Meinungen, Werte, Interessen und Erwartungen. Je schneller ein Konflikt allerdings angegangen wird, desto wahrscheinlicher ist es, dass er konstruktiv gelöst werden kann. Um erfolgreiche Konfliktlösung in der Gruppe zu etablieren, empfehlen sich folgende drei Level:

  • Zwischenmenschliche Fähigkeiten aufbauen, so wie Aktives Zuhören und das integrieren von Win-Win-Konversationen. Viele Gruppen arbeiten dafür mit der Gewaltfreien Kommunikation.

  • Persönliche Kompetenzen, sowie die eigenen Emotionen regulieren zu können und die wunden Punkte zu kennen. Hierbei kann auch ein Coaching hilfreich sein.

  • Auf Gruppenebene Vereinbarungen und Prozesse etablieren, um Konflikte schnell lösen zu können. Normalerweise beginnt der Prozess bei einem informellen Gespräch zwischen den involvierten Parteien. Wenn das nicht hilft, kann eine begleitetes Gespräch folgen. Dann eine formale Mediation und wenn gar nichts mehr hilft muss einer gehen.

Selbstbestimmung

Bei diesem Prinzip geht es darum, dass die Gruppe die bisherigen Prinzipien, mit Blick auf den Purpose, so umsetzen kann, wie sie es selber für richtig hält. Dieses Prinzip ist, dass was meist nicht beachtet wird, wenn man sich die heutige Unternehmenslandschaft mal anschaut. Sobald die Macht (Führung) zentralisiert wird, ist dieses Prinzip außer Kraft. Eine Möglichkeit, dieses Prinzip erfolgreich umzusetzen sind z.B. die Selbstorganisationssysteme wie die Soziokratie mit der in Rollen und Kreisen verteilten Führung oder die kollegiale Führung. So kann sich die Gruppe selber organisieren und die eigenen Angelegenheiten regeln.

Kollaboration

Allerdings besteht eine Gruppe ja nicht im luftleeren Raum. Z.B. innerhalb von Organisationen müssen Teams mit anderen zusammenarbeiten, um gemeinsam den Unternehmenspurpose zu erfüllen und nicht wild drauflos zu werkeln. Auch hierfür bieten die Kollegiale Führung, Soziokratie & Holokratie gute Konzepte, mit denen man erstmal starten kann. Da Kollaboration in einer idealen Welt nicht an der Unternehmensgrenze enden sollte kann man sich auch der Gemeinwohlökonomie oder den B-Corps anschließen, wo Unternehmen auf Augenhöhe zusammenarbeiten und sich unterstützen.

Am Ende ist es mir noch wichtig zu erwähnen, dass alle Prinzipien auf Dauer mit Leben gefüllt und umgesetzt werden müssen, damit eine Gruppe dauerhaft selbstorganisiert arbeiten kann.

Ich hoffe wir konnten dir ein wenig Inspiration mitgeben. Falls du mehr wissen willst, ruf uns gerne einfach mal zum Quatschen an.

Wenn du dich lieber tiefer einlesen willst empfehlen wir das Buch Prosocial.



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