Purpose - nicht nur sagen, sondern machen!


Text von Jens Hündling & Cornelia Grünbaum

Menschen brauchen einen Sinn, einen Purpose. Ist die eigene Arbeit sinnstiftend, dann sind Mitarbeiter*innen umso motivierter. Dies ist eine zentrale Idee von New Work. Daher wird in unsere New Work Blase immer wieder die Bedeutung der Sinnhaftigkeit des Unternehmens (Purpose) hervorgehoben. Am Purpose sollen sich alle Entscheidungen ausrichten. In einer komplexen Welt ist der Purpose der Fixstern, der den Weg weist und die Leute eint.

Achtung! Ein sexy Purpose, erdacht von Marketing-Profis oder im stillen Kämmerlein zusammengeschustert, ist wenig glaubhaft. Wenn das Unternehmen scheinbar und hauptsächlich der Gewinnmaximierung und dem Stakeholder Value verschrieben ist, wirkt der schicke Purpose an der Wand wie eine Farce.

Wie also kann ich einen guten Purpose tatsächlich realisieren? Welche formalen Möglichkeiten und rechtlichen Konstrukte gibt es, um die Organisation glaubhaft am Purpose auszurichten? Wie versuchen Vorreiter-Organisationen ihren Purpose explizit in den Fokus zu stellen und zu schützen? Welche Rolle können hier die Gemeinwohlökonomie, Genossenschaften, B-Corps, Vereine & das Verantwortungseigentum spielen? 

Diesen Fragen wurde im New Work Berlin Meetup am 22. September 2020 nachgegangen. Wir fassen hier die Highlights der Speaker zusammen.

Achim Hensen – Purpose Stiftung/ Purpose Ventures e.G.

Als Wirtschaftspsychologe interessierte Achim schon lange, wie Menschen zusammenarbeiten. Er sah viel Potential, dass aber in den gängigen Unternehmensformen nicht richtig gehoben wurde. Während der Auseinandersetzung mit dem Thema New Work setzte Achim in einem kleinen Unternehmen Prinzipien wie Selbstorganisation, Feedbackkultur und einiges mehr um. Dies war eine großartige Erfahrung, bis plötzlich ein großer Konzern dieses Unternehmen aufkaufte. Das fühlte sich für ihn völlig falsch an, denn die guten New Work Ideen verschwanden schnell. 

Paradigmenwechsel zum Verantwortungseigentum

Daraufhin beschäftigte er sich mit dem Eigentum an Unternehmen. Wem gehören Unternehmen eigentlich? Es gab einige gute Beispiele von Unternehmungen, die es anders machten, als der Rest. Bei diesen fand er zwei zentrale Prinzipien: 

  1. Selbstbestimmung: Die Mehrheit der Stimmrechte werden im Unternehmen gehalten.

  2. Sinnorientierung: Gewinne werden mehrheitlich reinvestiert oder gespendet

Diese zwei Prinzipien sind unveränderbar in der Unternehmens-DNA verankert. Das Unternehmen gehört sich selbst und treuhänderisch denen, die aktuell Verantwortung für die Mission übernehmen. Man nennt das Verantwortungseigentum oder englisch Steward-Ownership. Es stellt einen Paradigmen-Wechsel dar. Das Verantwortungseigentum bricht nämlich  mit zwei sehr starken Prinzipien: 

  1. Entweder habe ich Glück, in die richtige Familie geboren zu werden oder 

  2. ich habe ganz viel Geld und kaufe mir ein Unternehmen. 

Der Wechsel besteht also darin, dass Eigentum und Macht nicht mehr innerhalb einer Familie vererbt werden oder mit ganz viel Geld käuflich sind. Verantwortungseigentum setzt statt Blut oder Geld eben auf Fähigkeiten und Werteverwandtschaft. 

Achim berichtet von Studien, die aufzeigen, dass derartig aufgestellte Unternehmen eine längere Überlebenswahrscheinlichkeit haben, Mitarbeiter*innen und Führungskräfte länger halten können, bessere Gehälter zahlen können und sogar eine höherer mittelfristige Profitabilität realisieren. Aber warum machen das dann so wenige?

Dafür nennt Achim drei Gründe:

  1. Wissen: Es ist in der breiten Allgemeinheit zu wenig bekannt, wie eine andere Unternehmensform aussehen kann.

  2. Lösungen: Die Umsetzung ist immer noch recht schwer und die bisherigen Firmen mussten lange daran arbeiten, unter anderem um rechtlich alles aufzusetzen.

  3. Kapital: Diese Vorstellung von Unternehmertum und Eigentum wird noch nicht ausreichend unterstützt für Investitionen und Wachstum.

Achims Lösung: die Purpose Stiftung. 

© Purpose Stiftung

Die Purpose Stiftung informiert und begleitet Unternehmen auf dem Weg zum Verantwortungseigentum als offizielle Rechtsform. Dabei vernetzt sie Unternehmen, die sich durch verantwortliche Eigentumsstrukturen auszeichnen und machen diese für Interessenten sichtbar. Zusätzlich wird die Purpose Stiftung ein Veto-fähiger Teil bspw. in einem Kontrollgremium, damit die neue Satzung nicht beim ersten Anlass geändert werden kann. 

New Work needs New Ownership

Sinn und Selbstbestimmung sind zwei zentrale Prinzipien der New Work Bewegung. Achims Vorschlag ist, diese beiden Prinzipien zu unterstützen, in dem man die Selbstverantwortung als drittes ergänzt. Eigentum an Unternehmen muss neu gedacht werden, wenn Sinn und Selbstbestimmung wirklich nachhaltig realisiert werden sollen.

Philipp Wodara – Gemeinwohl-Ökonomie Berlin-Brandenburg

Ein gutes Leben für alle! Das ist das Ziel der Gemeinwohlökonomie. Um dieses Ziel zu erreichen, muss sich unser aktuelles Wirtschaftssystem radikal ändern und das auf wirtschaftlicher, politischer und sozialer Ebene. Die Idee dazu entstand 2010 in Österreich. Inzwischen organisiert sich die bürgerschaftliche Bewegung in Regionalgruppen und Vereinen über weite Teil Europas hinweg bis in die USA, Lateinamerika und Afrika. Das Herzstück bildet dabei eine Gemeinwohl-Bilanz, auf die sich Organisationen, Städte und auch ganze Staaten prüfen lassen können. Das Ergebnis bildet ein Testat darüber, inwiefern die Wirtschaftlichkeit einer Organisation dem Gemeinwohl dient.

Eine GWÖ-Bilanz aufstellen lohnt sich - auf vielen Ebenen

Während des Meetups wird deutlich, dass bereits das Aufstellen einer GWÖ-Bilanz für viele Organisationen ein großer Schritt in die richtige Richtung bedeutet. Man setzt sich mit den eigenen Prozessen auseinander, bekommt Verbesserungspotenziale aufgezeigt  und hinterfragt Bereiche, die bislang als gegeben angesehen wurden. Auch David von Quartiermeister (siehe weiter unten) berichtet von deren GWÖ-Prozess. 

Gemeinwohl Matrix

Eine Selbsteinschätzung anhand der Matrix und der anschließende Vergleich und das Feedback mit Organisationen aus der Peer-Gruppe hilft bei der eigenen Unternehmensausrichtung. In diesem Prozess wird der “Purpose” kritisch hinterfragt und wie weit man schon ist. Oder der Purpose wird erst gefunden oder neu erfunden. Typischerweise stößt eine GWÖ-Bilanz also eine Änderung im Unternehmen an. Philipp empfiehlt alle 2 Jahre eine neue Bilanz aufzustellen, um so regelmäßig das nachhaltige Wirtschaften zu hinterfragen.

The Big Picture: Was will die Gemeinwohlökonomie?

Auf politischer Ebene hat der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss die GWÖ bereits anerkannt. Hier ist das Ziel die GWÖ langfristig in Gesetzen und Verfassungen zu verankern. Ein solches Gesetz könnte beispielsweise steuerliche Anreizen für mehr Nachhaltigkeit in der Wirtschaft in Aussicht stellen, denn diese kostet schlichtweg mehr. Regionalgruppen organisieren auf Bildungsebene Vorträge, Workshops und Kongresse und so ist das Modell inzwischen Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung. Nichtsdestotrotz ist das Modell der GWÖ noch lange nicht fertig gedacht. Man setzt hier weiterhin auf einen partizipativen, demokratischen und ergebnisoffenen Prozess, um ein gutes Leben für alle zu ermöglichen.

Ein soziales Bier-Business: David Griedelbach – Quartiermeister 

Überblick über die Fördergelder von Quartiermeister - © Quartiermeister

Eines dieser Gemeinwohlökonomie-Testate hat sich auch Quartiermeister ausstellen lassen. Die Biermarke aus Berlin-Kreuzberg ist als deutschlandweit agierendes Social Business aufgestellt.  David sagt, dass Bier an sich schon ein soziales Produkt ist: Menschen kommen zusammen und trinken Bier in geselliger, sozialer Runde. Allein das ist schon ein Unternehmenszweck. Aber Quartiermeister geht weit darüber hinaus. 2010 gegründet, arbeitet Quartiermeister nach selbst definierten Prinzipien. Nach dem Motto “Trinken - Begleiten - Verändern” unterstützt die Biermarke soziale Projekte mit 10ct. je verkauftem Liter. Dadurch sind inzwischen bereits rund 200.000,- Euro in den letzten Jahren in kleine, lokale Projekte deutschlandweit investiert worden. Gewinne werden also dort ausgeschüttet, wo das Produkt hergestellt wird. 

Unabhängiges Bier

Durch diese soziale Ausrichtung grenzt sich Quartiermeister deutlich von den wenigen riesigen Weltkonzernen ab, die fast den gesamten Biermarkt beherrschen. Um die Unabhängigkeit von globalen Konzernen abzusichern, hat Quartiermeister auch mit der Purpose Stiftung zusammengearbeitet. Zusätzlich ist Quartiermeister Transparenz wichtig. Sie veröffentlichen regelmäßig ihre Zahlen, Gewinne und Aktivitäten. 

New Work needs New Beer (oder umgekehrt?)

Die Organisationsform von Quartiermeister ist bisher noch recht klassisch, mit Aussendienst (Vertrieb) und Innendienst (Produktion, Logistik). Aber langsam sind sie auf dem Weg zu New Work und untersuchen gerade, wie eine moderne Unternehmensform in der Branche des Fast Moving Consumer Goods funktionieren kann. Der Bedarf dazu kommt nicht zuletzt von den Mitarbeiter*innen. Ein weiterer Impuls dazu war die GWÖ-Bilanz, dessen Erstellung viele relevante Impulse gegeben hat, Quartiermeister ganzheitlich zu betrachten. Es hat dazu geführt, viele Dinge zu hinterfragen, um sich noch weiter in die Richtung eines Social Business zu bewegen. David kann die GWÖ-Bilanz sehr empfehlen, wenn ein Unternehmen nachhaltiger werden möchte. 

Gemeinwohlökonomie-Bilanz von Quartiermeister - © Quartiermeister

Lena Marbacher – Neue Narrative/ TheDive

TheDive ist eine Idee. TheDive ist ein Unternehmen. TheDive ist Teil einer Community.”, so steht es auf der Website von der Unternehmensberatung. Der Purpose: eine lebensdienliche Wirtschaft zu gestalten. Unternehmen werden dabei unterstützt, zu verstehen, warum sie auf dieser Welt existieren. Dabei wird den Unternehmen die Frage gestellt: Welchen Beitrag wollt ihr für diese Welt leisten? Dazu erzählt Lena vom inneren Konflikt: Beraten wir nicht die Systeme, die wir eigentlich abschaffen wollen? Darüber hinaus wollte TheDive auch intern Dinge anders machen als andere Unternehmensberatungen. So hat sich die Organisation als B-Corporation zertifizieren lassen, und eine No-Flight Policy eingeführt, um ökologische Nachhaltigkeit zu gewährleisten. Dieses sei für eine Unternehmensberatung alles andere als einfach und selbstverständlich, berichtet Lena. 

Ein Magazin in Verantwortungseigentum

Als Spin-Off der Unternehmensberatung gibt es das Wirtschaftsmagazin Neue Narrative. Hier geht es nicht nur um Wachstum, Rendite und heroische Manager*innen. Es erzählt vielmehr Geschichten aus einer neuen, ego-freien Arbeitswelt, die zum Anpacken, Nachmachen und Weiterdenken einlädt. Das Magazin wird in Verantwortungseigentum geführt - heißt konkret: es gibt keine “Vermögenseigentümer”, sondern Menschen, die mit dem Unternehmen innerlich verbunden sind und sich mit den Unternehmenswerten identifizieren und diese auch langfristig tragen. 

Im Meetup berichtet Lena wie aus der Ausgründung von TheDive vor drei Jahren mit Unterstützung der Purpose Stiftung am Ende eine GbR aller Mitarbeitenden wurde. Neue Narrative gehört sich zu 99% selbst und 1% der Purpose Stiftung als Kontrollgesellschafter. In der Satzung der GbR findet man heute Regeln, die letztendlich das repräsentieren, wofür die Neue Narrative als Magazin inhaltlich auch eintritt, beispielsweise sprachliche Korrektheit.

Lena berichtet davon, dass dieser Prozess der Unternehmensgründung ein durchaus komplexer und langer war und die Purpose Stiftung dabei sehr geholfen hat. Auch wenn es immer mal wieder persönliche Bedenken oder rechtliche Fragen gibt, sind alle wahnsinnig glücklich mit der neuen Unternehmensform.

Marco Harenberg – sustainable natives eG 

“Eine lebendige und zuversichtliche Welt.” Das ist die Vision der eingetragenen Genossenschaft sustainable natives von der uns Gründungsmitglied Marco Harenberg berichtet. Marco weiß, dass alte Muster nicht mehr passen und Unternehmen neue Wege beschreiten müssen, um nachhaltig erfolgreich sein zu können. Hier kann man nicht verantwortungslos auf Ressourcen setzen, die morgen schon knapp sein können. Die Begleitung von Unternehmen in ein nachhaltigeres wirtschaften und damit in eine nachhaltigere Welt bildet den Gründungszweck der sustainable natives. An der Umsetzung arbeiten Berater*innen, Coaches und Trainer*innen der Genossenschaft kollaborativ mit Unternehmen. Auch hier wurde die Vision als Zweck und Gegenstand in die Satzung der Genossenschaft aufgenommen und ist somit rechtsverbindlich. Das hat zur Folge, dass Projekte auch abgelehnt werden können, wenn das Projekt oder die Kunden gegen diesen Zweck und damit die Satzung verstoßen. Die Sinnhaftigkeit, der Purpose ist somit in der DNA des Unternehmens verankert. 

Im Meetup berichtet Marco außerdem vom Gründungsprozess der Genossenschaft Mitte 2017. Dieser begann mit einem ersten Strategie-Workshop. Marco empfiehlt die Vorgehensweise, in der von Anfang an Gedanken über die Vision und die Ausrichtung der Firma im Fokus stehen. Alle arbeiten von Anfang an gemeinsam am Unternehmenszweck. Das erhöht die Identifikation, Bereitschaft sowie gegenseitiges Verständnis. 

Einen spannenden Einblick gibt uns Marco außerdem als er im Meetup ein Framework für die nachhaltige Transformation durch sustainable natives vorstellt. Dieses Framework betrachtet 5 Dimensionen bzw. Perspektiven, eine davon ist der Purpose des Transformationsprojekte.

Der Purpose ist bei sustainable natives auch organisatorisch verankert, indem Vorstand und Aufsichtsrat auf die Einhaltung der Satzung und Geschäftsordnung achten. Es gibt ein ausbalanciertes System, das entscheidungsfähig ist und gleichzeitig nicht einfach den Zweck und die Ausrichtung unterwandern oder gar ändern kann.

Im Meetup wird diskutiert

Im Anschluss an diese fünf sehr inspirierenden und wegweisenden Vorträge wurde, wie in jedem New Work Berlin Meetup, noch eifrig diskutiert. Es gab einige Fragen der Teilnehmer*innen und weitere Aspekte des Purpose und wie er umgesetzt werden kann. Außerdem gab es eine Runde Zoom-Roulette, bei der die Meetup-Teilnehmer*innen in einzelne Breakout-Sessions zum weiteren Austausch und Netzwerken geschickt wurden. Aber das können und wollen wir hier alles gar nicht wieder geben. Trotzdem neugierig? Komm doch nächstes Mal einfach selbst zum Meetup.

Links zum Thema:


Zurück
Zurück

Stolperfallen der Selbstorganisation

Weiter
Weiter

8 Designprinzipien für eine gelingende Selbstorganisation