Grundlagen von New Pay - was wirklich zählt


Viele Unternehmen experimentieren schon länger mit den unterschiedlichsten Formen von New Work. Das geht meist einher mit mehr Mitsprache und Selbstverantwortung und nach und nach kommt auch immer öfter mal die Frage auf, wie das Geld eigentlich im Unternehmen verteilt wird. Doch sobald man über das Thema New Pay spricht, kommt es ganz schnell zu einer Diskussion, was eigentlich gerecht ist. Auch der Reflex, dass die Höhe der Gehälter für den sozialen Frieden im Unternehmen geheim gehalten werden soll, zeigt ganz deutlich, wie wichtig es ist das Gefühl zu haben fair behandelt zu werden. Doch was ist fair? Wenn alle das gleiche Gehalt bekommen? Wenn Eltern mehr Geld bekommen als Singles? Oder wenn diejenigen am meisten bekommen, die auch am meisten im wirtschaftlichen Sinne leisten? Und wie viel mehr darf die Geschäftsführung im Vergleich zu den anderen Mitarbeiter*innen verdienen?

Heikel! Und wie so oft gibt es nicht die eine Antwort, die für alle passt. Denn was gerecht ist lässt sich nicht objektiv messen, sondern ist ein äußerst subjektives Empfinden. Doch wie können wir nun doch zu einem gemeinsamen Gehaltsmodell finden, was von allen getragen wird? Hierzu bietet die Organizational Justice Theory wichtige Ansatzpunkte. Diese viel erforschte und validierte Theorie besteht aus drei Gerechtigkeits-Komponenten: Verteilungsgerechtigkeit, Verfahrensgerechtigkeit und Interaktionsgerechtigkeit. Unterstützt wird diese dann noch von einem Klima der Gerechtigkeit.

Verteilungsgerechtigkeit

Die Verteilungsgerechtigkeit bezieht sich auf die Frage, als wie angemessen und fair das Ergebnis einer Entscheidung wahrgenommen wird. Bin ich also zufrieden mit dem Gehalt, was ich bekomme? Diese Wahrnehmung der Verteilungsgerechtigkeit entsteht aus dem sozialen Vergleich mit anderen Personen. Die folgenden Fragen solltet ihr also im Blick behalten:

Was verdiene ich verglichen mit Leuten im Unternehmen, die den gleichen Job machen?

Um das einschätzen zu können braucht es erstmal eine gewisse Gehaltstransparenz. Das Minimum sind hierbei die Gehaltsbänder für bestimmte Jobs, wie z.B. Tarifstufen. Wie weit ihr die Gehälter transparent machen wollt, hängt viel von eurer Kultur ab und sollte ausgehandelt werden. Wer nicht möchte, dass das eigene Gehalt offen gelegt wird, hat da auch ein Recht drauf (Datenschutz!). Ein Beispiel von voller Gehaltstransparenz zeigt das Unternehmen Vollmer & Scheffczyk GmbH. Um das eigene Gehalt festzulegen, erhalten alle Mitarbeitenden unter anderem eine Gehaltsliste aller Kolleg*innen. Inklusive einiger Eckdaten, um die Erfahrung und den Beitrag für das Unternehmen besser einschätzen zu können. Wie der Prozess des selbst gewählten Gehalts dort abläuft könnt ihr in diesem Blogbeitrag von Fabian Schünke nachlesen.

Was verdiene ich im Vergleich zu Leuten, die den gleichen Job in anderen Unternehmen machen?

Auch der Marktwert spielt eine wichtige Rolle dabei, ob das Gehalt als gerecht empfunden wird. Verdiene ich im Unternehmen deutlich unter meinem Marktwert? Wenn ja, wird es evtl. mit anderen Benefits ausgeglichen, wie beispielsweise einer 4-Tage Woche oder 40 Tage Urlaub?

Bekomme ich mehr, wenn ich mehr zum Erfolg des Unternehmens beitrage als andere?

Hierbei spielt die Idee eine Rolle, dass wenn ich viel investiere auch viel zurückbekommen möchte. Und auf jeden Fall mehr als jemand, der sich einfach treiben lässt! Wenn ich also ständig Extraaufgaben erledige und jemand anderes nur das Nötigste macht, sollte das irgendwie anerkannt werden. Das ist einer der schwierigsten Punkte, da es in der heutigen Arbeitswelt oft recht schwer ist, den individuellen Beitrag zum großen Ganzen genau zu bestimmen. Daher gehen die meisten New Work Unternehmen weg von einem individuellen Bonussystem hinzu einer Beteiligung am Unternehmenserfolg. Wenn sich dann jemand auf Kosten der anderen Treiben lässt, sollte die New Work Unternehmenskultur das mit klarem Feedback sinnvoll lösen können.

Wie viel mehr als andere darf jemand verdienen?

Ist es gerecht, wenn Manager*innen das 52-fache von dem Gehalt der Mitarbeiter*innen verdienen? Vermutlich nicht. So viel Mehrwert für das Unternehmen kann niemand stiften. Studien zeigen auch, dass große Gehaltsunterschiede zu Verstimmungen führen. Wie groß die Spreizung sein darf, entscheidet jedes Unternehmen für sich. Meist wird etwas zwischen das 4 bis 10-fache als gerecht empfunden, vor allem, wenn der/ diejenige am Ende auch den Kopf hinhält, wenn es dem Unternehmen schlecht geht.

Wie viel brauche ich, verglichen mit anderen, zum Leben?

Brauche ich mehr Geld, wenn ich Kinder habe oder Angehörige pflege? Hierbei geht es um das Bedarfsprinzip. Ein Unternehmen, welches das Bedarfsprinzip sehr konsequent umsetzt, ist MeinGrundeinkommen e.V. Hier bestimmen alle Mitarbeiter*innen selber, was sie verdienen möchten und was sie wirklich brauchen. Dies geschieht in enger Absprache und tiefen Diskussionen mit den Kolleg*innen. Die Idee dahinter ist, dass ich mir mehr rausnehme, wenn ich gerade vor privaten Herausforderungen stehe und wenn diese bewältigt sind, wieder mit meinem Gehalt runtergehe.

Verfahrensgerechtigkeit

Bei der Verfahrensgerechtigkeit geht es nicht darum, wie viel ich am Ende bekomme, sondern darum, wie es zu dieser Entscheidung kam. Dazu muss der Prozess aber erstmal transparent sein. Ob ein Prozess dann als fair wahrgenommen wird, hängt von der Erfüllung dieser sechs Prinzipien ab:

  1. Konsistenz – d.h. das Prozesse und Verfahren zur Entscheidungsfindung bei allen Personen und zu allen Zeiten gleich angewandt werden. Entscheidet z.B. der Chef darüber, ob ihm meine Nase gefällt, bin ich toll im Verhandeln oder gibt es klare Kriterien an Hand derer, für alle gleich, über das Gehalt entschieden wird. Ein Beispiel für diese Konsistenz hat beispielsweise Ökofrost in ihr Gehaltsmodell eingebaut.

  2. Unvoreingenommenheit - d.h. der Prozess soll unabhängig durch Eigeninteressen und Vorurteilen derjenigen sein, die ihn durchführen. Wer entscheidet eigentlich welches Gehalt ich bekomme? Jemand, der weniger bekommt, wenn ich mehr kriege? Oder die Kollegin, der ich letzte Woche ein kritisches Feedback geben musste? Oder Karl Heinz, der mich noch nie leiden konnte? Eine Lösung, um Unvoreingenommenheit so gut wie möglich zu garantieren hat das Unternehmen it-agile für sich gefunden. Hier wachen vier, durch Mitarbeiter*innenentscheid gewählte, „Gehalts-Checker“ über die Einkommen aller (mehr dazu hier im brandeins Artikel).

  3. Genauigkeit – wenn die Entscheider*innen während des Prozesses akkurate Informationen suchen und nutzen. Also auf welche Daten und Informationen soll sich euer Gehaltsmodell stützen? Wo bekommt ihr diese eigentlich her? Und wie vertrauenswürdig sind die Quellen?

  4. Nachbesserungsmöglichkeit – ist erfüllt, wenn die Möglichkeit besteht, ungerechte Entscheidungen zu revidieren. Fehler können immer mal passieren. Wichtig ist den Meisten nur, dass sie diesen nicht machtlos ausgeliefert sind, sondern sie möglichst korrigieren können. Daher ist es sinnvoll in den Gehaltsprozess verschiedene Feedbackschleifen einzubauen, damit immer die Möglichkeit besteht nachzubessern, wenn etwas nicht optimal gelaufen ist. Wie das aussehen kann zeigt sipgate mit ihrem Gehaltsmodel.

  5. Gesamtvertretung – die Bedürfnisse, Werte und Ansichten aller am Prozess beteiligten Parteien müssen berücksichtigt werden. Eine Möglichkeit hierfür ist es den Prozess zur Gehaltsmodelfindung für alle Mitarbeitenden zu öffnen, so dass alle die sich einbringen wollen, auch die Gelegenheit dazu bekommen.

  6. Ethik – Entscheidungen müssen laut den moralischen und ethischen Werten der Betroffenen nachvollziehbar sein.

Wenn der Prozess als fair wahrgenommen wird akzeptieren Menschen auch Entscheidungen, die für sie eher negative Auswirkungen haben.

Interaktionsgerechtigkeit

Doch genauso wichtig wie die Frage, ob das Gehalt angemessen ist und ob der Prozess fair abläuft, ist die Frage wie die Entscheidung kommuniziert wird. Diese Facette der Gerechtigkeit beschreibt die Interaktionsgerechtigkeit. Also wie empathisch und nachvollziehbar wird das Ergebnis mitgeteilt?

Oft wird in der Interaktionsgerechtigkeit nochmal unterschieden zwischen der interpersonalen und der informationalen Gerechtigkeit

  • Die interpersonale Gerechtigkeit bezieht sich auf die Wahrnehmung der sozialen Interaktion bei der Entscheidungsfindung. Beurteilt wird dabei, wie viel Respekt der Person entgegengebracht wird, die von einer Entscheidung betroffen sein wird. Bekomme ich zum Beispiel einfach eine Standard-Email mit der Entscheidung oder wird sie mir in einem persönlichen Gespräch mitgeteilt. Gerade, wenn ein Ergebnis mitgeteilt wird, welches vermutlich nicht für Freudensprünge sorgt, ist es wichtig, dass dieses empathisch geschieht. Die Kompetenz der Gewaltfreien Kommunikation, kann da tatsächlich Gold wert sein.

  • Die informationale Gerechtigkeit schließlich bezieht sich darauf, inwiefern das Informationsverhalten der entscheidungstreffenden Person wahrheitsgemäß ist, Begründungen und spezifische Informationen enthält, sowie zeitnah erfolgt. Also ist es für mich nachvollziehbar, warum ich welches Gehalt bekomme? Mit einem transparenten Gehaltsmodel, welches die oben genannten Gerechtigkeitsprinzipien ernst nimmt, sollte es deutlich leichter fallen, zu erklären, warum wer welches Gehalt bekommt.

Klima der Gerechtigkeit

New Pay - Leitfragen zur Gerechtigkeit

Das individuelle Gefühl was ich als gerecht empfinde ist natürlich nicht in Stein gemeißelt, sondern verändert sich stätig. Am Anfang von New Pay kann es daher vorkommen, dass die Meinungen über was gerecht ist, sehr weit auseinander liegen. Doch je mehr im Unternehmen darüber gesprochen wird, warum wer was als gerecht oder ungerecht empfindet, desto mehr gleichen sich die Meinungen an. Wenn ich mich also über die verschiedenen Standpunkte mit anderen Kolleg*innen austauschen kann, führt das zu einer gemeinsamen Interpretation der Fairness von Ereignissen. Forschungsergebnisse zeigen, dass Einzelpersonen Gerechtigkeitsbewertungen von Teammitgliedern "lernen" und diese somit zu einer Homogenität der Wahrnehmung von Gerechtigkeit in Teams führen können, wodurch ein starkes Gerechtigkeitsklima entstehen kann. Am Ende ist es wichtig, das Gehaltsthema nicht in das Deckmäntelchen des Schweigens zu hüllen, sondern die Diskussion über die Gerechtigkeit von dem Gehaltssystem ganz offen und mutig mit allen Beteiligten zu führen. Wie so ein Aushandlungsprozess über das Gehalt aussehen kann, hat das Unternehmen Wigwam in diesem Blogbeitrag anschaulich festgehalten.

Falls ihr nach mehr Inspiration zum Thema New Pay, sucht empfehlen wir das Buch New Pay - Alternative Arbeits- und Entlohnungsmodelle von Sven Franke, Nadine Nobile & Stefanie Hornung oder den New Work Podcast mit Erdbär und die ersten Schritte zu New Pay.


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Don’t fear the beast! Wie uns Konflikte nutzen und was wertschätzende Kommunikation damit zu tun hat

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Die Stufen zur Selbstorganisation