Was wir bei dem Besuch eines Fußballspiels über Selbstorganisation lernen können


Heute ist der große Tag. Der Tag auf den du schon lange gewartet hast. Du streifst dein viel zu enges Glückstrikot von 1990 über. Sieht zwar doof aus, aber du willst ja nichts riskieren. Unten an der Ecke warten schon deine Freund*innen, im Fanoutfit mit einem Wegbier, auf dich. Auf dem Weg zum Ort des Geschehens grölt ihr die größten Hits. Ihr übt schon mal ein paar Schlachtrufe und die Vuvuzela wird warm gespielt. Je näher ihr dem Ziel kommt, desto lauter wird gesungen und auch das Pöbeln untereinander darf nicht fehlen. Dann geht es endlich los. Der Vorhang fällt und die Oper Fidelio von Beethoven beginnt. Du bist in deinem Element und singst lauthals die Melodien mit.

Ein komischer Gedanke oder? Das würdest du doch höchstens machen, wenn du eine Wette verloren hast. Doch warum ist uns ganz implizit klar und spüren wir, dass wir uns in der Oper anders zu verhalten haben, als im Fußballstadion? Und warum verhält ein und dieselbe Person sich in den verschiedenen Kontext so komplett anders?

Der Kontext bestimmt das Verhalten

Das liegt ganz einfach daran, dass das Verhalten von Menschen nicht (nur) von der Persönlichkeit der Menschen abhängt, sondern auch stark von dem Kontext geprägt ist. Den meisten ist klar, dass sie in der Oper sofort rausgeworfen werden, wenn sie sich wie im Fußballstadion verhalten würden. Das hat etwas mit gelernten sozialen Normen , und somit dem Kontext, zu tun. Wer sich an die jeweils geltenden Normen hält, bekommt Zustimmung (alle anderen grölen begeistert mit und klopfen sich gegenseitig auf die Schulter). Wer die Normen allerdings verletzt, wird sozial sanktioniert (in der Oper mit finsteren Blicken und bösem Zischen).

Selbstorganisation funktioniert nicht per Ansage

Deshalb reicht es nicht den Leuten zu sagen, jetzt organisiert euch mal selbst. Auch Ansätze in denen versucht wird, Menschen mehr Eigenverantwortung anzutrainieren, scheitern, wenn der Kontext, und damit auch die sozialen Normen, die gleichen bleiben. Denn jeder Mensch handelt in seiner Welt völlig sinnvoll. Wenn nicht klar ist, dass die sozialen Normen sich geändert haben, wird weiterhin versucht werden sich an diese zu halten - z.B. keine Verantwortung zu übernehmen, da das doch die Aufgabe des Chefs ist und womöglich soziale Sanktionen drohen. Daher kannst du nur den Kontext in dem sich die Mitarbeiter*innen sich bewegen verändern, aber nicht die Menschen.

“Menschen sind nicht, sondern sie verhalten sich entsprechend des Systems, zu dem sie sich in diesem Augenblick zugehörig fühlen” Bernd Oestereich & Claudia Schröder

Wenn du dein Team also dabei begleiten möchtest, dass es von einem stark hierarchischen, hin zu einem selbstorganisierten Team wächst, muss sich der Kontext für alle spürbar ändern. Das alle Kolleg*innen automatisch merken, dass sie jetzt im selbstorganisierten und agilen Kontext unterwegs sind und nicht mehr im Taylorismus.

Ja aber, wie soll das gehen?

Es gibt viele Möglichkeiten den Kontext spürbar zu verändern. Das Wichtigste - wie immer - es braucht auch hier wieder Zeit. Eine Möglichkeit ist es, dass der Übergang mit allen Teammitgliedern explizit gewürdigt wird. Denkbar wäre z.B. das gemeinsame Unterzeichnen der Holokratieverfassung. Eine andere Möglichkeit wäre es, dass Informationen von (ehemaligen) Führungskräften öffentlich gemacht und nicht mehr gehortet werden. Oder ihr verteilt ganz explizit Rollen und Verantwortlichkeiten, hängt diese sichtbar auf und haltet euch daran. Manchen hilft dabei euch ein ganz sprichwörtlicher “Tapetenwechsel”. Also den Umzug in ein ganz neu gestaltetes Büro. Hier sind immer die Fragen zu beantworten: Was passt zu uns? Woran würden wir merken, dass wir nun selbstorganisiert unterwegs sind? Und welche Normen werden von Regeln und Kontext unterstützt?

*Der Fußball-Opern- Vergleich stammt ursprünglich von Gerhard Wohland, dem Autor des Buches “Denkwerkzeuge der Höchstleister”.


Zurück
Zurück

Was OKRs so erfolgreich Macht

Weiter
Weiter

Transformation ist ein Lernprozess